Dienstag, 27. März 2012

Wenn einer auspackt.

Heute muss ich Euch erzählen, was ich erlebt habe, da es wirklich eine abgefahrene Story ist, die mich sehr beschäftigt.
Ich komme von der Arbeit nachhause, durch den Hinterhof und will gerade die Treppe zu meiner Haustür hochsteigen, als ich bereits von oben die Stimme meiner Nachbarin höre, wie sie sich mit einer männlichen, mir unbekannten Stimme unterhält.
Oben angekommen sehe ich meine Nachbarin vor ihrer Tür (welche direkt an meine grenzt) auf ihrem Raucherpausen-und-Kreuzworträtselstuhl sitzend, zusammen mit einem Typen, den ich auf ungefähr Anfang 20 schätze. Der Typ ist unauffällig gekleidet, sieht eigentlich ganz normal aus, mit Stift in der Hand und auf dem Schoß einen Schnellhefter, und ich seh es schon, bevor er irgendwas sagen kann - der macht ne Umfrage.
"Hi, hast Du kurz Zeit für ne kleine Erhebung zum Thema Kinder- und Jugendkriminalität?" fragt er mich mit einem eigentlich nicht ganz unsympathischen Lächeln. Ich so, naja, grummel, wenns nicht länger als 2 Minuten dauert, von mir aus. Und so lange er meine Wohnung nicht betritt, isses mir auch egal.
Meine Nachbarin wirft mir einen Blick zu, der wohl eine Mischung aus "Komm, ist ja nichts dabei, ich mach auch mit" und "lass mich mit dem Typen nicht alleine" bedeuten soll.
Also gut, ich bring meinen Kram schnell hoch in die Wohnung und komm wieder runter - in der Zwischenzeit haben die beiden anderen es sich auf der Terrasse mit einer Tasse Kaffee bequem gemacht.
Der Typ erzählt kurz von sich und vom Zweck der Umfrage: Es sollen 2000 Meinungen zum bereits erwähnten Thema Kinder- und Jugendkriminalität gesammelt werden - wobei es sich um mittelschwere bis leichte Verbrechen handelt, wie beispielsweise Drogenhandel, Diebstahl, Sachbeschädigung und dergleichen. Er selbst kommt aus Köln, würde früher wegen diverser Delikte dieser Art zu Jugendarrest verurteilt und lebt nun auf Bewährung und ohne festen Wohnsitz in einer Einrichtung für straffällige Jugendliche. Während er so vor sich hinbrabbelt, beschleicht mich immer wieder das Gefühl, dass diverse Dinge, die er von sich gibt, irgendwie erstunken und erlogen sind.
Ich werfe meiner Nachbarin unauffällige Seitenblicke zu. Ja, sie denkt offenbar das Gleiche wie ich. Aber nun gut, er kommt zur Umfrage "Was glauben Sie, wie hoch die Rückfallquote bei straffälligen Jugendlichen ist?" - "Sind Sie vorurteilsbeladen im Bezug auf ebendiese Jugendliche?" - "Was würden Sie tun, wenn einer davon bei Ihnen im Haus/in der Nachbarschaft wohnen würde?" "Welche Möglichkeiten halten Sie für sinnvoll, was die Wiedereingliederung von straffälligen Jugendlichen in die Gesellschaft betrifft?"
Meine Nachbarin und ich sprechen das aus, was uns gerade durch den Kopf geht, ohne Dinge schönzureden oder zu verharmlosen, und irgendwas an unserer Art, an unserer Reaktionen auf die Fragen - keine Ahnung, was es ist - löst plötzlich eine sehr interessante Reaktion bei dem Typen aus.
Plötzlich grinst er breit, klappt seinen Schnellhefter zu, dreht ihn um, zieht auf der anderen Seite ein paar folierte, zusammengeheftete Blätter raus und legt diese vor uns auf den Tisch. Es ist eine Preisauflistung mit Zeitschriften und plötzlich fällt mir wie Schuppen von den Augen, was mein Bauchgefühl mir schon die ganze Zeit zu sagen versucht: Der Typ verkauft Zeitschriftenabos an Haustüren. Mit der klassischen Mitleidsmasche!
Und dann verrät er ans, dass er beim Zeitschriftenvertrieb X seit einem dreiviertel Jahr als freier Mitarbeiter angestellt ist und auf diese Art und Weise seinen Lebensunterhalt verdient (der keineswegs ärmlich ist). Nämlich indem er sich als obdachloser vorbestrafter Jugendlicher ausgibt, der sich angeblich durch das Abschließen von Zeitschriftenabos ein paar Euro dazuverdient, damit er sich später mal eine anständige Ausbildung leisten kann.
Er plaudert so einiges aus dem Nähkästchen - mit welchen Methoden er schon gearbeitet hat, wie oft er schon haarscharf einer Konfrontation mit der Polizei entgangen ist und was er mit der ganzen Masche so an Kohle verdient. Wobei ich ihm mittlerweile kein Wort mehr glaube. Außer, dass er einen sehr unorthodoxen Job macht und für jedes abgeschlossene Abo eine satte Provision kassiert. Und er offenslichtlich sehr stolz auf das ist, was er tut. Was mich am meisten erschüttert: Um das schauspielerische Talent ihrer Mitarbeiter zu fördern und zu erhalten, veranstaltet eine solche Firma regelmäßige entsprechende Trainings und Schulungen im "Abzocken"!!
Unser Oscargewinner verrät, wie unser gemeinsames Gespräch nach Beendigung der Umfrage "normalerweise" weiter verlaufen wäre und kramt einen Block mit gelben Zetteln aus der Tasche: Die Zustimmungserklärungen für ein Zeitschriftenabonnement über 2 Jahre Laufzeit.
Spätestens in diesem Augenblick, sage ich zu ihm, hättest Du deine Sachen packen und gehen können. Umfrage hin oder her, aber es gibt drei Dinge, die ich niemals tue: Zeitschriften abonnieren, meine Bankdaten rausrücken und irgendwo mirnichtsdirnichts meine Unterschrift druntersetzen.

Am Ende verlässt uns der junge Mann wieder, natürlich ohne dass wir ein Abo abgeschlossen haben. Abgesehen davon, dass ich unter anderen Umständen solchen Leuten niemals die Tür öffne und mich nie so lange mit soooo jemandem unterhalten hätte, bin ich nun wieder überrascht, mit welch fiesen, gewissenlosen Jobs die Menschen so ihr Geld verdienen - und wie viele am Ende auf diese Tricks reinfallen. Klar, der Typ konnte gut reden und spielte seine Rolle so überzeugend, dass ihm bestimmt 7 von 10 Menschen die Masche abgekauft hätten. Aber wie kann sowas jahrelang funktionieren, ohne das die Firma, in deren Auftrag diese Drückerkolonnen unterwegs sind, dafür belangt wird?
Natürlich habe ich gleich via Google recherchiert und 10000000 Foreneinträge zu eben diesem Thema gefunden. Auch die Firma selbst konnte ich ergooglen - wenn auch mit einer absolut nichtssagenden und auffällig unauffälligen Homepage.
Irgendwie erschreckend, dass da draußen noch - was weiß ich wie viele - Menschen von der gleichen Sorte rumrennen.

Hab Ihr vielleicht auch schon Erfahrungen mit solchen Typen gemacht, oder seid selbst Opfer eines "Drückers" oder einer Abofalle geworden?
(Da fällt mir ein, ich hab mal bei einem Preisausschreiben für ein Auto mitgemacht, dass in der Bahnhofsvorhalle mit runtergekurbeltem Kenster stand, durch das man seine ausgefüllte Karte werfen konnte - tja, und ein paar Tage später klingelte das Telefon. Ratet, was der nette Mann am anderen Ende der Leitung von mir wollte? ;-))

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