Irgendwie hab ich das Gefühl, es werden von Jahr zu Jahr weniger. Manchmal, nein oft bedauere ich das. Lesen ist was ganz Wunderbares, aber in all dem Alltagstrott und der Hetzerei und der Prokrastination fehlt mir oft die Lust und Muse, mich abends mit einem Buch auf die Couch oder ins Bett zu legen.
Nur im Urlaub, da nehme ich mir die Zeit und gehe sogar vorher in die Buchhandlung, um gezielt nach Lesefutter zu suchen. So wie auch dieses Jahr. Und dann lag dort der "Hundertjährige" als Taschenbuchausgabe.
Ich kannte das Buch bereits von der Spiegel-Bestsellerliste. Es hatte sich dort hartnäckig für lange Zeit gehalten und unendlich viele Rezensionen bekommen; Ich gebe eigentlich nicht viel auf dieses Bestsellergedöns, aber ich war schon öfter um das Buch geschwänzelt, hatte es in die Hand genommen, wieder zurück auf den Tisch gelegt, mich wie immer von meiner visuellen Ader leiten lassen - denn das Cover faszinierte mich. Elefanten mag ich, seit meiner frühesten Kindheit, als ich mir pausenlos Benjamin Blümchen Kassetten angehört habe. Diese riesigen, erhabenen, sanften und weisen Tiere... nun ja, ich fand sie jedenfalls toll.
So spielt auch ein Elefant im "Hundertjährigen" eine mehr oder weniger tragende Rolle und wie absurd, dass gerade in Schweden, dort wo sich die Geschichte zuträgt, Elefanten nicht gerade zu den typischen Landbewohnern gehören.
Hach, ich mag die Schweden.
Ich mag ihre Art zu schreiben und ihren Humor. Schon in Mikael Niemis "Populärmusik aus Vittula" war ich sehr angetan davon. Und nun hat Jonas Jonasson den lieben, alten, sympathischen Allen Karlsson zur Hauptperson seines Romanes auserkoren.
Dieser Allen, der lebt im Altersheim und wird heute 100 Jahre alt. Später kommen ganz viele Gäste, um ihn zu feiern und das Gläschen auf ihn zu heben, und auf dieses heuchelerische Getue hat er so mal überhaupt keine Lust. Also mobilisiert er seine letzten hundertjährigen Kräfte, klettert aus dem Fenster seines Zimmers, welches zum Glück im Erdgeschoss liegt, und nachdem er ein paar Minuten orientierungslos im Blumenbeet umherstapft (in Hauspantoffeln), macht er sich auf den Weg zum Bahnhof...
Er sucht sich eine Busverbindung, die ihn genau so weit bringen soll, wie es die paar Kronen in seinen Taschen erlauben. Als er so auf seinen Bus wartet, bittet ihn plötzlich ein junger Mann mit ungepflegten langen Haaren, auf seinen Koffer aufzupassen, während der Kofferbesitzer mal "kurz um's Eck" verschwinden muss.
Dann, während der junge Mann auf der Toilette sitzt, kommt plötzlich Allans Bus. Und Allan entschließt sich kurzerhand, den Koffer mit in den Bus zu nehmen. Der junge Mann wird es schon verschmerzen, wenn ihm ein paar Klamotten abhanden kommen, und Allan ist schließlich völlig unvorbereitet - ohne Wechselwäsche und anständiges Schuhwerk - aus dem Altersheim ausgebüxt.
Was Allen zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, aber schnell herausfinden wird: Der junge Mann ist Mitglied einer Gangsterbande. Und der Koffer randvoll mit Geld vom letzten Drogendeal - 50 Millionen Kronen um genau zu sein.
Ab hier beginnt ein irrwitziges, absurdes, schreiend komisches Roadmovie, das dem Leser wahnsinnig viel Spaß macht. Allan lernt auf seiner Reise quer durch das Land diverse Persönchen kennen, einige davon werden erst Komplizen, später sogar Freunde. Dazu gehören ein 70jähriger Gelegenheitsdieb, ein erfolgloser Imbissbudenbesitzer und eine Frau, die auf enem einsamen Bauernhof lebt - zusammen mit einem Hund und einem entlaufenen Zirkuselefanten.
Allans Flucht aus dem Altersheim zieht eine Reihe absurder Mordfälle, kuriose Unfälle und andere seltsame Geschehnisse nach sich. Doch Presse, Polizei und auch die Drogenmafia stehen ratlos da - dieser alte Mann scheint in alle Vorgänge verwickelt zu sein, aber wie kann ein 100jähriger so viel Chaos verursachen und es trotzdem schaffen, den Behörden immer einen Schritt voraus zu sein?
Während man Allen auf seiner turbulenten Reise begleiten darf, wird die Geschichte von einzelnen Kapiteln unterbrochen, welche Allans Lebenslauf, angefangen von seiner Kindheit, erzählen - und dieser Lebenslauf ist mehr als außergewöhnlich. Ein Mann, der sich nie für Religion, Politik oder ähnliches interessierte, der immer nur das Leben so lebte, wie es gerade stattfand - dieser Mann bereist nahezu alle Kontinente, wird in wichtige geschichtliche Ereignisse verwickelt, dinniert mit hohen Staatsmännern und Politikern, gerät in Gefangenschaft, entkommt oft nur knapp dem Tod und beeinflusst unfreiwillig das Weltgeschehen. Diverse Parallelen zu Forrest Gump sind nicht zu verkennen...
Tausendfach rezensiert wurde er schon, der "Hundertjährige" - nur wenig Kritik, viele Lobeshymnen, und dies völlig zu Recht. Lange schon habe ich kein Buch mehr gelesen, dass mich so zum Lächeln (teilweise sogar zum Lachen) gebracht hat und dessen Protagonisten ich so in's Herz geschlossen habe.
Dies ist kein superaktueller Lesetipp, denn - wie gesagt - das Buch gibt es schon eine Weile. Aber wer es bisher noch nicht gelesen hat, sollte es tun. Denn was spricht gegen 400 Seiten gute Laune in dieser trüben, kalten, dunklen Jahreszeit?
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