Freitag, 9. November 2012

Geschwister.

Mit Geschwistern ist es immer so eine Sache...da kann jeder ein Lied von singen, der welche hat.
Die Verhältnisse zwischen Brüdern und Schwestern können ganz unterschiedlich sein. Das Spektrum reicht von "best friends" bis hin zu "wir gucken uns nicht mal mit dem Arsch an, wenn wir einander begegnen". Und trotzdem kann man seine Geschwister nicht einfach verleugnen. Sie sind ein Teil unseres Lebens, sie gehören zur engeren Verwandschaft, kommen direkt nach den Eltern.
Ich zum Beispiel habe einen 14 Jahre älteren Bruder. Auf die Frage, ob wir ein harmonisches Verhältnis zueinander haben, könnte ich - da bin ich ganz ehrlich - keine Antwort geben, die sich in einen einzigen Satz packen lässt.

Wären wir nicht verwandt, hätten wir sicher bis zum heutigen Tage nichts miteinander zu tun. Zu dem undurchschnittlich krassen Altersunterschied, der uns beide trennt, kommt nämlich noch erschwerend hinzu, dass wir sehr unterschiedliche Charaktere besitzen. Ich bin ein unkomplizierter, extrovertierter, manchmal recht argloser Mensch, der alles eher locker nimmt und sich wenig Gedanken über Dinge macht, die ihn nicht direkt betreffen. Mein Bruder ist eher sensibel und introvertiert, sieht alles immer eine Spur ernster als ich, nimmt sich viel zu Herzen und wendet ein wesentlich komplizierteres Denkmuster an.

Ich war zwar immer total stolz, wenn ich als kleines Mädchen erzählen konnte, dass ich einen ganz großen Bruder habe. Aber wir hatten verständlicherweise nicht besonders viel gemeinsam. Mein Bruder zog früh von zuhause aus, also verbanden uns auch so gut wie keine Kindheitserinnerungen. Und mit dem Beginn der Pubertät war das Thema Familie und Geschwister für mich sowieso erstmal zweitrangig.
Als ich dann etwa 17 war, begann jedoch eine Zeit, in der wir richtig viel miteinander unternahmen, zum Beispiel ins Kino, Shoppen oder Essen gehen, Ausflüge und DVD-Abende, Spaziergänge mit dem Hund, und so weiter...
Ich verstand mich immer mit seinen Freundinnen, und er sich mit meinen Freunden, also unternahmen wir auch oft etwas zu viert.
Vor sieben Jahren bekam ich dann eine richtige Schwägerin, zu der ich auch gleich einen guten Draht hatte.
Dann zog ich aus meinem Heimatort weg - wir sahen uns seltener, das brachte einfach die Entfernung und unsere Arbeit mit sich.
2007 begannen mein Bruder und meine Schwägerin schließlich, ihr Haus zu renovieren und umzubauen. Ein Vorhaben, dass sich über fast zwei Jahre hinzog, viel Schweiß & Tränen und meinem Bruder schließlich die Nerven kostete. Am Ende saß er mit Burnout da.
Diese Zeit hätte fast nicht nur das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester, sondern auch das zwischen Sohn und Eltern zerstört. Ich kam mit der Situation nicht klar und wusste nicht, wie ich mich meinem Bruder gegenüber verhalten soll - diesem von Grund auf sowieso schon zart besaiteten Menschen, der dann auch noch psychisch und seelisch angeschlagen war. Bei jedem Gespräch hatte ich den Eindruck, immer das Falsche zu sagen, oder er bekam es in den falschen Hals, und schon hatten wir Streit.
So kam es, dass wir uns fast nicht mehr sahen, und kaum noch miteinander telefonierten.
Mein Bruder kündigte mir fast die Verwandtschaft, weil er behauptete, so rücksichts- und herzlos könne sich seine Schwester ihm gegenüber doch nicht verhalten. Ich weiß nicht, wie wir nochmal die Kurve bekommen haben, ohne dass es in totalem Desaster endete.
Zwischen meiner Mutter und meinem Bruder kriselte es noch schlimmer und länger, bis hin zur monatelangen, absoluten Funkstille. Und zwischendrin mein armer, diplomatischer Papa, der doch nichts weiter wollte, als den Familienfrieden zu wahren.

Seit dieser Zeit hat sich unser Verhältnis wesentlich abgekühlt. Wenn wir uns sehen und er einen guten Tag hat, können wir zwar immer noch Blödsinn machen, uns über den größten Quatsch kaputtlachen und auch normal miteinander reden, aber es ist anders als vorher. Und ausnahmsweise kann ich mal von mir selbst behaupten, dass dies nicht an mir liegt. Mein Bruder hat sich verändert, sich allgemein aus dem Verwandschaftsleben zurückgezogen. Er taucht kaum noch auf Familienfeiern auf. Und selten ergreift er die Initiative, wenn es um eine Kontaktaufnahme geht. Ruft man dann mal an, schlägt einem erstmal eine Welle des Vorwurfs entgegen, nach dem Motto "ach, meldest Du Dich auch mal wieder? Von Dir könnte man auch öfter mal was hören..".
So etwas animiert natürlich nicht besonders dazu, als erster zum Hörer zu greifen...

Trotz allem denke ich öfter an ihn, als er sich es wahrscheinlich vorstellen kann.
Ich bin gespannt, was die Zeit bringt, und ob er sein Schneckenhaus eines Tages wieder verlassen wird.  


Ein Bruder ist ein Freund, den die Natur gegeben.
Ernest Wilfrid Legouvé, (1807 - 1903)



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